Immer, wenn ich aus meiner alten Heimat Hessen wieder zurück nach Horb fahre, wird mir gewahr, dass Horb eine historische Stadt ist. Das zeigt mir nämlich das braune Hinweisschild an kurz vor der Ausfahrt Nr. 30 und zwar auf der Autobahn Richtung Singen. Über den Inhalt dieser Botschaft habe ich mir schon oft den Kopf zerbrochen, denn ähnelt die Dreißig doch sehr dem Zeichen für „Om“, der heiligen Silbe der Hindus und Buddhisten. Das Heilige an der Silbe ist aber deren Klang. Es sei der Urklang, aus dessen Vibrationen einst das gesamte Universum entstand, sagt man in Indien. „Om“ – man lasse das ‚m’ lange im Kopf summen – „Om“ heißt es, korrespondiere auch mit dem Zustand des Träumens, des Tiefschlafs und der tiefsten Ruhe. Vielleicht färbt meine Indienreise Anfang des Jahres da noch etwas ab, aber auch so weiß ich: im Umgang mit heiligen Klängen ist es so eine Sache. So manche Mauer ist zu ihrer Zeit schon gefallen allein der gegen sie gerichteten Schallwellen wegen. Vorsicht ist geboten. Im Dornröschenschlaf oder in Jericho – wo befindet sich also mein Horb?
Mit einer solchen Frage fahre ich also weiter ins Neckartal und dann wieder hoch hinauf Richtung Stiftskirche und suche dabei nach den geschichtlich bedeutsamen Zeichen, die der Großen Kreisstadt ihren historischen Stempel aufdrücken konnten. Derart historisch jedenfalls wie das Forum Romanum kann Horb ganz offensichtlich nicht sein: denn obwohl es mancherorts so ausschaut, ausgegraben muss das Städtchen nicht erst werden. Es ist durchaus sehr lebendig hier und da zwischen den alten Mauern. Vor allem den ganz ganz alten, auf die ich vom Künstlerhaus aus jeden morgen schaue, wenn ich den Tag beginne. Ein leichtes wäre es seinerzeit gewesen, diese Mauern einzustürzen: nur ein Hauch, ein leiser Pfiff hätte genügt und das ehemalige Kloster wäre endgültig Geschichte. Ganz anderer Klänge aber bedienten sich damals die Horber, nämlich des eines penetranten Klimperns ihrer Klingelbeutel. Und auf diese Weise wirkungsvoller als jeder Prinzenkuss rissen viele edle Ritter gemeinsam eine Schönheit aus ihrem Schlaf und haben diesen Kraftakt ganz sicher bis heute nicht bereut. Im wahrsten Sinne des Wortes wurde hier ‚Kultur gut geschützt’. Diese Kultur - und auf jeden Fall ihre Gaststätte - steigert definitiv unsere Lebensqualität und wird damit sicher auch glanzvoll in die Geschichte eingehen.
In die Geschichte eingehen werden auch die beiden alten Scheunen in meiner direkten Nachbarschaft, und zwar sofort. Bis vor kurzem waren sie noch kulturhistorisch relevant und deshalb denkmalgeschützt. Dennoch werden sie zukünftig nur noch auf historischen Postkarten Zeugnis ablegen können über ein „lebendiges Bild der Baukunst und Lebensweise vergangener Zeiten“ und leider nicht mehr „sinnlich und wahrnehmbar“, so wie es der Zweck des Kulturgutschutzes wörtlich vorsieht. Denkmalschutz, so heißt es in der Definition weiter, könne als Bestandteil der Erhaltung von Lebensqualität betrachtet werden. Ich selbst kann nicht beurteilen, ob diese beiden Scheunen tatsächlich schützenswerte Baudenkmäler waren. Dafür, dachte ich, gäbe es Experten. Sinnlichkeit und Wahrnehmung aber sind auch künstlerische Ressorts, und die sind mir bekannt. Also mache ich mir so meine Gedanken. Ob das neue Parkhaus die Lebensqualität am Marktplatz erhöhen oder die beiden Scheunen gar als Kulturdenkmal ablösen kann, wird definitiv erst die Zukunft zeigen. Jedes Ende ist ein Neuanfang und eine Chance für Entwicklung – wenn vielleicht auch wieder zurück.
Zum Beispiel ‚zurück in die Zukunft’, wie ich es neulich in der Zeitung las. Damit wird glasklar, welchen ungleich größeren Stellenwert unser Kulturgut Automobil also hat: hierbei geht es nämlich um das historische Kennzeichen, dass die Horber Kraftfahrzeuge in Zukunft wieder aus dem Neckartal in die Welt hinaus tragen sollen. (*) Zugegeben, der Klang von „hor“ bietet eine angenehme sinnliche Wahrnehmung. Ganz im Gegensatz zu „fds“: ausgesprochen ähnelt es dem Angriffsanflug eines Moskitos – versuchen Sie es selbst! Nun, wenn ich also die Wahl hätte…
Deshalb bin ich mir auch so ganz sicher, dass die Bürgermeisterschaftsaufgabe (**) am kommenden Sonntag fix erledigt sein wird. Aber bitte achtet darauf, dass auf dem überdimensionalen Kennzeichen der TÜV nicht schon abgelaufen ist, denn auch das wird die ganze Welt sehen. Ich, auf jeden Fall, halte ganz fest die Daumen!
Monika Golla, 13.7.2013
(*) Horb bemüht sich nach Kräften darum, wieder das alte KfZ-Kennzeichen HOR einführen zu dürfen. Bisher verwehrte der Landkreis Freudenstadt den Horbern diesen Wunsch. So müssen sie zur Zeit immer noch mit dem ungeliebten FDS unterwegs sein, geben aber die Hoffnung nicht auf.
(**) Horb beteiligte sich am 14. Juli an den sog. "Bürgermeisterschaften" eines regionalen Radiosenders. Die Aufgabe, die es galt zu erfüllen, bestand darin, gemeinsam mit 500 Bürgern ein überdimensionales KfZ-Wunschkennzeichen HOR A 1 zu bilden.
Was, wie man sieht, gelungen ist. (Foto: C. Kuball)
"Das Horber 'Om' und das 'HOR' - von Kulturgütern, Urklängen und Autokennzeichen / Alte Mauern, neues Parkhaus"
Schwarzwälder Bote, 13. Juli 2013
... comment