Millionen von Molekülen sorgen für den Ton
Ein klagendes Saxofon, vor dem Denkmal gespielt von der Darmstädter Musikdozentin Susanne Resch, eröffnete diese Projektarbeit, die unterstrich, wie vergänglich die Kunst im Moment ihres Entstehens sein kann. Jeder Ton war in dem Moment, in dem er verklang, für immer weg.
Genau wie die Worte, die Sprecher Michael Rieth, für diese Inszenierung fand. Anhand eines scheinbar erstarrten und toten Steines aus dem Mauerwerk des Künstlerhauses verdeutlichte er zu Beginn der 30-minütigen Aufführung, dass dies nur der erste, der subjektive Eindruck sei. In Wahrheit schwingen Millionen von Molekülen in dem Mineral und bringen es zum Beben und Klingen. "Der Stein steckt voller Musik", so seine philosophische Erkenntnis, die dazu einlud, hinter die Fassade des Offensichtlichen zu schauen. (Ausschnitt / SCHWARZWÄLDER BOTE 1.9.2014)
Die Poesie der Performance
Auch die SÜDWEST PRESSE widmete der "interdisziplinären Raumbespielung" am Horber Künstlerhaus eine ausführliche Rezension. (Auszüge / 1.+2.9.2014)
Von einer Randerscheinung ist die Performance zum Höhepunkt der Art Basel 2014 avanciert. Nur, fragt die 3sat-Sendung „Kulturzeit“, woher kommt die Faszination für diese flüchtige Kunstform? Wer am Samstag auf dem Hinterhof des Horber Künstlerhauses zu Gast war, weiß es.
Eine „interdisziplinäre Raumbespielung“ war angekündigt. Will sagen: eine Art Konferenzschaltung unterschiedlicher Kunstformen, die nahezu alle Sinne anspricht und darüber hinaus den Ort des Geschehens in besonderem Maß aufnimmt. Letzteres galt nicht nur „geografisch“ für Fenster und Durchgang, Stahltreppe und -brücke zu den Künstlerwohnungen, für die Begrenzungssteine gen Westen und die Klostermauer im Süden. Ins Spiel kam auch der Genius Loci: zum einen durch das nahe Sebastian-Lotzer-Denkmal (Veranstaltungstitel: „… das wir frey seyen“), zum anderen durch eine gefühlte „Reformation an dieser Stelle in Horb“, nämlich die Verwandlung eines Malz- und Gärkellers in ein Künstlerdomizil (wo es ja auch, in bestem Sinne, gärt).
Den Zuschauern und -hörern wurde einiges an Beweglichkeit abverlangt: Gleichsam im Surroundverfahren entwickelten sich mal da, mal dort die Bild- und Klangcollagen. „Der Tanz ist flüchtig, ohne Ort und Zeit enteilt er unserm Schauen“, verkündete Sprecher Michael Rieth, und das galt nicht nur für den großartigen Bewegungsreigen von Christine Chu und Marie-Luise Thiele, Elisabeth Kaiser und Monika Golla. Was sich da zwischen Gitterstäben, auf Mauerkronen und vor Efeuranken, an der monumentalen Nordwand des Klosters und vor sommerabendblauer Himmels-kulisse auftat, waren immer wieder von Neuem starke Impressionen. Wenige Accessoires wie Masken, Seidenschals und Mullbinden taten ein Übriges, um teils mystische Eindrücke entstehen zu lassen.
Schauspieler, Buchautor und Lyriker Rieth sorgte mit poetischen Zwischentexten dafür, dass auch der Intellekt nicht zu kurz kam, etwa wenn er zur Einführung, noch draußen auf dem Parkplatz, den „kinetischen Rhythmus der Moleküle“ eines Mauerstücks beschwor („Der Stein lebt!“) oder wenn er im Triolett (eine Strophen-form aus Frankreich) fragte: „Gebiert der Raum die Zeit? Wird hier zur Zeit der Raum?“
Akzente ganz anderer Art setzte die Stimmkünstlerin Elisabeth Kaiser. Mit ihren Soloparts, verstörend und mitreißend zugleich, fügte sie sich bruchlos ins brillante Zusammenspiel der Akteure ein. Das galt nicht minder für die Musiker – Susanne Resch (Saxophon), Wolfram Karrer (Akkordeon), Michael Stoll (Kontrabass, Flöte) – und den Meister der Elektronik, Nikolaus Heyduck. Dass dazwischen mal die Glocken läuteten, mal ein Motorroller über den Vorhof ratterte, mal ein Martinshorn Laut gab, hätte Teil der vorproduzierten Klangwelten sein können. Da konnten selbst die dissonanten Schlussakkorde, intoniert zu einer (seelischen?) Säuberungsaktion mit Wurzelbürsten, nicht mehr erstaunen.
Die Künstlerhaus-Residentin Monika Golla und die Frankfurter Tanztheater-Chefin Marie-Luise Thiele verbanden mit ihrem Veranstaltungskonzept die Absicht, „sich von gängigen ästhetischen Abhängigkeiten zu lösen und kulturelles Kategorie-Denken zu hinterfragen“ – eine Art Freiheitsbestrebung in der Nachfolge Lotzers und seiner zwölf Bauernartikel von 1525. Dies deutlich zu machen, ist den Beteiligten gelungen. Vor allem aber hinterließ ihre synästhetische Performance ein Kaleidoskop imposanter Bilder und Klanggebilde in den Köpfen der Betrachter.
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"Der Tanz ist flüchtig. ...."
Kein Waschtag im Künstlerhaus, sondern Bilder unserer Premiere am 30.8.2104.
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"...das wir frey seyen..." eine interdisziplinäre Raumbespielung
Premiere: 17 Uhr, weitere Vorstellung: 19:30 Uhr
Ort: Antonie-Leins-Künstlerhaus, Horb am Neckar / Freigelände
Inszenierung: Marie-Luise Thiele
Monika Golla, derzeitige Stipendiatin im Antonie-Leins-Künstlerhaus, entwickelte gemeinsam mit der frankfurter Choreografin Marie-Luise Thiele das Konzept einer interdisziplinären Raumbespielung, deren Motiv die Befreiung aus starren Normen und Denkmustern ist. Das Vorhaben beabsichtigt ein künstlerisches Mapping der Freifläche des Horber Künstlerhauses mit dem Willen, sich von gängigen ästhetischen Abhängigkeiten zu lösen und kulturelles Kategoriedenken zu hinterfragen. Mit der Bespielung des auch im übertragenen Sinne "Freiraumes Künstlerhaus" wird ein aus verschiedenen Perspektiven erlebbares Kunstwerk entwickelt, das einerseits Verbindungen schafft zwischen verschiedenen Kunstsparten und andererseits die historischen Zusammenhänge des Standortes mit gegenwärtigen Bezügen verknüpft.
Die Inszenierung nimmt Bezug auf das in direkter Nachbarschaft des Aufführungsortes stehende Denkmal für Sebastian Lotzer, den Horber Verfasser der 12 Bauernartikel von 1525. Der Text dieser Artikel, der von einer ganz wesentlichen grundlegenden Erkenntnis der damaligen Bauernschaft und deren Willen zur Wiederherstellung eines natürlichen Gleichgewichts zeugt, gilt als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa und die dazu führenden Zusammenkünfte gleichwohl als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden.
Das Experiment „...das wir frey seyen...“ ist auch ein Musenkuss für die gegenwärtige Reformation an eben dieser Stelle in Horb: den Abriss des alten Gasthaus-Gärkellers und dessen Wiederaufbau als erstes Künstlerhaus der Stadt - ein kompletter Neubeginn auf alten tragenden Grundmauern. Das Publikum und die Anwohner werden als Zaungäste in das Konzept mit einbezogen.
Es spielen:
Christine Chu, Monika Golla, Nikolaus Heyduck, Elisabeth Kaiser, Wolfram Karrer, Susanne Resch, Michael Rieth, Michael Stoll, Marie-Luise Thiele
Das Projekt wird gefördert durch das Regierungspräsidium Karlsruhe und den Landesverband Freier Theater Baden-Württemberg e.V. aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, die Stiftung Landesbank Baden-Württemberg, den Landkreis Freudenstadt
Flyer-Download hier → PandOHRa.de
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Lange haben wir geplant, gebaut und dafür gearbeitet. Nun laufen seit Tagen die intensiven Proben für die interdisziplinäre Raumbespielung "...das wir frey seyen..." auf unserem Freigelände. Diese Vision, die ich sehr bald schon nach meinem Einzug ins Künstlerhaus hatte, konnte schließlich verwirklicht werden.
In meiner Freundin, der frankfurter Choreografin Marie-Luise Thiele hatte ich bald eine begeisterte Komplizin für dieses schwierige Unterfangen. (→ siehe mein Blogeintrag v. 9-10. Juli 2013). Neben Marie-Luise Thiele und Michael Rieth, der für die Texte und Sprache ebenfalls fest eingeplant war, bildete Nikolaus Heyduck von Anfang an den harten Kern des temporären Ensembles. Jetzt fehlten noch die Musiker und ein Darsteller oder -in. Die Musiker waren schnell gefunden und leicht zu begeistern, denn sie spielten alle schon im Künstlerhaus während → "Sturmfrei": Michael Stoll & Wolfram Karrer sowie Susanne Resch. Zu Gesang wurde die Künstlerhäusin Elisabeth Kaiser sozusagen zwangsverpflichtet. Bei den Performern war es schwieriger, also schaltete ich eine Suchanzeige. So kam Christine Chu zu uns. Das Team war perfekt. Was fehlte, war das Kapital und eine Menge helfender Hände. Ich bin sehr glücklich, im hiesigen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst einen tollen Kulturpartner gefunden zu haben, um das Projekt starten zu können. Die schliessliche Realisierung ermöglichten die Förderungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe, der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg und vor allem des Landesverbands Freier Theater Baden-Württemberg. Besonders freut uns die Unterstützung des Landkreises Freudenstadt.
Helfende Hände fanden sich zu Hauf in der Nachbarschaft. Ich bedanke mich hier sehr gerne für all diese tatkräftigen Freundschaftsdienste u.a. beim Projekt Zukunft / Kultur im Kloster für die Bänke und den Zugang zum Kloster, wo unsere Beleuchtung angebracht werden musste, bei drehdich / Michael Grüber & Christa Stiegenroth für die Zurverfügungstellung des Funkmikrofons, beim Osthang Projekt / IMD Darmstadt für die perfekten Stühle für's Publikum, bei Michael Widmann für den Rasenmäher, bei Sigrid Schulze, Sylvia Lippmann und Christoph Mügge für den Kassendienst und last but really not least bei FrankFierke / art&grafix für das tolle Plakatmotiv, alle Grafikarbeiten, Lichtinstallation, Vorhanganfertigung u.v.m.
So und nun kann's endlich losgehen!
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