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5. Betreten auf eigene Gefahr
August 2013

Keine Filmfestspiele, kein Staatsempfang, keine Krönung ohne ihn, denn er soll die große Bedeutung der Personen, die darüber gehen, zum Ausdruck bringen: der Rote Teppich. Er wird ausgerollt in Cannes, Berlin, Venedig, Hollywood und Horb. Ja, Horb. Denn Horb hat seit neustem auch seinen Roten Teppich. Die schwäbische Variante ist allerdings etwas haltbarer als die übliche Auslegeware, denn sie besteht aus einem robusten Straßenbelag. Seit wenigen Wochen leuchtet nämlich der Flößersteg, der vom Bahnhof her kommende Passanten galant zur Altstadt führt, in einem peppigen Rot. Muss ja nicht gleich die Oskarverleihung sein oder ein Papstbesuch: in Horb ist jeder Ankömmling ein VIP. Zudem begleitet diesen Weg das feierliche Wehen bunter Fahnen auf beiden Seiten.

Der Rote Teppich hat eine Jahrtausend alte Tradition. Alleine den Göttern vorbehalten war es im antiken Griechenland, das kostbare, einst aus Schneckendrüsen gewonnene Purpurrot zu begehen. Es den Göttern gleich tun zu wollen, galt als Frevel ungeheueren Ausmaßes. Eine Hybris, die immer ein schlimmes Ende nach sich zog und zum unvermeidlichen Fall und Tod des Helden führte. Selbst wenn dieser vor Betreten des besonderen Läufers ehrfurchtsvoll seine Schuhe auszog, wie zum Beispiel einst Agamemnon siegreich aus Troja zurückkehrend. Genützt hat es ihm damals wenig, gefallen ist er trotzdem, wenn auch ungleich tragischer als so manche Leinwandgöttin in hochhackigen Schuhen heutzutage. Gefallen sind auch in Horb bereits so manche Wagemutige, wenn auch nicht der Tradition wegen, sondern der vermeintlichen Rutschgefahr bei Nässe. Kein Grund, alles wieder einzurollen. Ein von der „Bürgermeisterschaft“ übrig gebliebener Sandsack verschaffte eiligst ausgestreut Abhilfe sowie auch zwei provisorische Hinweisschilder, die leider mittlerweile etwas abgerutscht sind. Aber diese Eigenart des Flößerstegs hat sich schnell herumgesprochen und jeder weiß hier mittlerweile bescheid.

Nun, also mir gefällt’s. Schließlich ist Rot nicht nur purer Luxus, sondern auch die Farbe der Liebe, der Freude und der Leidenschaft. Und das macht doch warm ums Herz. Damit diese Freude uns aber lange bleibt, bitte ich die Stadt innigst darum, im herannahenden Winter diesen Steg bei ihrem Antiglatteisprogramm mit zu berücksichtigen. Das ist ausdrücklich zu betonen, weil nicht unbedingt selbstverständlich. Wer als Reigeschmeckder im Gässchen- und Treppengewirr der Kernstadt den richtigen öffentlichen Weg sucht, sollte lediglich auf Schilder mit folgendem Text achten: „Dieser Weg wird nicht geräumt und gestreut“. Wird ein Weg oder eine Steige mit einem solchen oder inhaltsgleichen Schild gekennzeichnet, ist man eindeutig auf einem öffentlichen Pfad unterwegs. Auch ein Hinweis auf die Sperrung des Durchgangs in den Wintermonaten ist ein sicheres Indiz für den richtigen Weg. Nicht so gekennzeichnete Stufen führen womöglich vor private Haustüren oder enden in ausweglosen Hinterhöfen. Und ist man nicht ausdrücklich eingeladen, öffnet sich selten ein freundliches Hintertürchen in diesem eigensinnigen Labyrinth.

Ein Türchen hat sich für mich neulich aber doch geöffnet, nämlich das, an dem das letzte Mal noch die grünen Fußabdrücke ein ungewisses Ende fanden. An der kleinen grünen Tür neben dem Finanzamt ist neuerdings ein Schildchen angebracht worden. „Weißer Garten“ steht da jetzt drauf und sonntags ist geöffnet. Aber nicht dem englischen Vorbild in Sissinghurst Castle, deren leidenschaftlich zügellose Hausherren ihrerzeit vor allem durch die zahlreichen außerehelichen Eskapaden bekannt waren, ist diese Oase gewidmet, sondern den keuschen Bewohnerinnen des ehemaligen Klosters: den Dominikanerinnen, die hier in Horb - möglicherweise ihres bleichen Habits wegen - einst als „weiße Sammlung“ bezeichnet wurden. Es lohnt sich wirklich, zu verschiedenen Jahreszeiten dort reinzuschnuppern. Als ich zum Beispiel neulich da war, empfing mich ein betörender Duft nach … frisch gestrichener Farbe. Die beiden Sitzbänke wurden kürzlich entsprechend behandelt, und ein handgeschriebener Zettel bat um Vorsicht. Man kann nicht immer Glück haben. Wiederkommen ist angesagt, denn diese „Oase der Ruhe und Erholung“ ist wirklich sehr liebenswert. Nur weiß blühende Pflanzen sind für diesen Garten gewählt worden, welche auch oft auf historischen Marienbildern dargestellt sind. Über die jeweilige Bedeutung informiert ein kleines Faltblatt, das am Eingang zu finden ist. Rosen, Feilchen, Lavendel, Phlox, Karpatenglöckchen, Margeriten, selbst die unkrautige Ackerwinde auf dem Weg – alles weiß. Auch der Wein, und der Marmor, aus dem die Jakobsmuschel für den zentralen Brunnen gehauen wurde - weiß. Sogar die Wölkchen am Himmel. Soweit ist alles klar. Und es kann mir keiner weis machen, dass es ein Zufall war, wenn eine Schar ausschließlich weißer Schmetterlinge sich am Nektar labte, als ich dort war. Aber, wer weiß....?

Monika Golla 29.8.2013

Rutschpartie auf Horbs rotem Teppich
Schwarzwälder Bote 31.8.2013

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4. Das Horber "Om"
Juli 2013

Immer, wenn ich aus meiner alten Heimat Hessen wieder zurück nach Horb fahre, wird mir gewahr, dass Horb eine historische Stadt ist. Das zeigt mir nämlich das braune Hinweisschild an kurz vor der Ausfahrt Nr. 30 und zwar auf der Autobahn Richtung Singen. Über den Inhalt dieser Botschaft habe ich mir schon oft den Kopf zerbrochen, denn ähnelt die Dreißig doch sehr dem Zeichen für „Om“, der heiligen Silbe der Hindus und Buddhisten. Das Heilige an der Silbe ist aber deren Klang. Es sei der Urklang, aus dessen Vibrationen einst das gesamte Universum entstand, sagt man in Indien. „Om“ – man lasse das ‚m’ lange im Kopf summen – „Om“ heißt es, korrespondiere auch mit dem Zustand des Träumens, des Tiefschlafs und der tiefsten Ruhe. Vielleicht färbt meine Indienreise Anfang des Jahres da noch etwas ab, aber auch so weiß ich: im Umgang mit heiligen Klängen ist es so eine Sache. So manche Mauer ist zu ihrer Zeit schon gefallen allein der gegen sie gerichteten Schallwellen wegen. Vorsicht ist geboten. Im Dornröschenschlaf oder in Jericho – wo befindet sich also mein Horb?

Mit einer solchen Frage fahre ich also weiter ins Neckartal und dann wieder hoch hinauf Richtung Stiftskirche und suche dabei nach den geschichtlich bedeutsamen Zeichen, die der Großen Kreisstadt ihren historischen Stempel aufdrücken konnten. Derart historisch jedenfalls wie das Forum Romanum kann Horb ganz offensichtlich nicht sein: denn obwohl es mancherorts so ausschaut, ausgegraben muss das Städtchen nicht erst werden. Es ist durchaus sehr lebendig hier und da zwischen den alten Mauern. Vor allem den ganz ganz alten, auf die ich vom Künstlerhaus aus jeden morgen schaue, wenn ich den Tag beginne. Ein leichtes wäre es seinerzeit gewesen, diese Mauern einzustürzen: nur ein Hauch, ein leiser Pfiff hätte genügt und das ehemalige Kloster wäre endgültig Geschichte. Ganz anderer Klänge aber bedienten sich damals die Horber, nämlich des eines penetranten Klimperns ihrer Klingelbeutel. Und auf diese Weise wirkungsvoller als jeder Prinzenkuss rissen viele edle Ritter gemeinsam eine Schönheit aus ihrem Schlaf und haben diesen Kraftakt ganz sicher bis heute nicht bereut. Im wahrsten Sinne des Wortes wurde hier ‚Kultur gut geschützt’. Diese Kultur - und auf jeden Fall ihre Gaststätte - steigert definitiv unsere Lebensqualität und wird damit sicher auch glanzvoll in die Geschichte eingehen.

In die Geschichte eingehen werden auch die beiden alten Scheunen in meiner direkten Nachbarschaft, und zwar sofort. Bis vor kurzem waren sie noch kulturhistorisch relevant und deshalb denkmalgeschützt. Dennoch werden sie zukünftig nur noch auf historischen Postkarten Zeugnis ablegen können über ein „lebendiges Bild der Baukunst und Lebensweise vergangener Zeiten“ und leider nicht mehr „sinnlich und wahrnehmbar“, so wie es der Zweck des Kulturgutschutzes wörtlich vorsieht. Denkmalschutz, so heißt es in der Definition weiter, könne als Bestandteil der Erhaltung von Lebensqualität betrachtet werden. Ich selbst kann nicht beurteilen, ob diese beiden Scheunen tatsächlich schützenswerte Baudenkmäler waren. Dafür, dachte ich, gäbe es Experten. Sinnlichkeit und Wahrnehmung aber sind auch künstlerische Ressorts, und die sind mir bekannt. Also mache ich mir so meine Gedanken. Ob das neue Parkhaus die Lebensqualität am Marktplatz erhöhen oder die beiden Scheunen gar als Kulturdenkmal ablösen kann, wird definitiv erst die Zukunft zeigen. Jedes Ende ist ein Neuanfang und eine Chance für Entwicklung – wenn vielleicht auch wieder zurück.

Zum Beispiel ‚zurück in die Zukunft’, wie ich es neulich in der Zeitung las. Damit wird glasklar, welchen ungleich größeren Stellenwert unser Kulturgut Automobil also hat: hierbei geht es nämlich um das historische Kennzeichen, dass die Horber Kraftfahrzeuge in Zukunft wieder aus dem Neckartal in die Welt hinaus tragen sollen. (*) Zugegeben, der Klang von „hor“ bietet eine angenehme sinnliche Wahrnehmung. Ganz im Gegensatz zu „fds“: ausgesprochen ähnelt es dem Angriffsanflug eines Moskitos – versuchen Sie es selbst! Nun, wenn ich also die Wahl hätte…
Deshalb bin ich mir auch so ganz sicher, dass die Bürgermeisterschaftsaufgabe (**) am kommenden Sonntag fix erledigt sein wird. Aber bitte achtet darauf, dass auf dem überdimensionalen Kennzeichen der TÜV nicht schon abgelaufen ist, denn auch das wird die ganze Welt sehen. Ich, auf jeden Fall, halte ganz fest die Daumen!

Monika Golla, 13.7.2013

(*) Horb bemüht sich nach Kräften darum, wieder das alte KfZ-Kennzeichen HOR einführen zu dürfen. Bisher verwehrte der Landkreis Freudenstadt den Horbern diesen Wunsch. So müssen sie zur Zeit immer noch mit dem ungeliebten FDS unterwegs sein, geben aber die Hoffnung nicht auf.

(**) Horb beteiligte sich am 14. Juli an den sog. "Bürgermeisterschaften" eines regionalen Radiosenders. Die Aufgabe, die es galt zu erfüllen, bestand darin, gemeinsam mit 500 Bürgern ein überdimensionales KfZ-Wunschkennzeichen HOR A 1 zu bilden.

Was, wie man sieht, gelungen ist. (Foto: C. Kuball)


"Das Horber 'Om' und das 'HOR' - von Kulturgütern, Urklängen und Autokennzeichen / Alte Mauern, neues Parkhaus"
Schwarzwälder Bote, 13. Juli 2013

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3. Spurensuche
Mai 2013

„Sehr geehrte Anlieger, leider konnte die Baustelle doch noch nicht ganz fertig gestellt werden“, was heißen sollte: „wir brauchen halt gschwind noch etwas mehr Zeit.“ Eine solche oder so ähnliche Erklärung fanden die Anlieger der Wintergasse vor kurzem in ihren Briefkästen. Es handelte sich hierbei um die Kanalarbeiten für den Bau des neuen Parkhauses. Also um eine Baustelle zur Vorbereitung der Baustelle. Was lange währt, wird endlich gut und daher dauern die Planung und Ausführung mancher Bauwerke eben etwas länger, manchmal sogar etwas länger als deren anschließende Nutzung. Wir bauen schließlich nicht mehr für die Ewigkeit - oft nicht mal mehr für die Gegenwart. Aber warum auch? - ist nicht der Weg das Ziel? Doch sicher, aber er muss ja nicht allzu lange halten, denn morgen ist Gestern nichts mehr wert – es ist dann schlichtweg nicht mehr kompatibel. Also, ein Update muss dringend her. Am besten gleich ein automatisches. Das lädt sich dann regelmäßig ganz von selbst runter und installiert sich ganz unauffällig auch von ganz alleine. So müssen wir uns auch keine Gedanken mehr darüber machen und können auch nichts dafür –aber stets den letzten Schrei und das neuste System.
Neuste Systeme laufen aber erfahrungsgemäß nicht immer sehr stabil und so gibt es Konsumenten, die eben eine Runde warten, bevor sie etwas Neues anschaffen - so genannte Jahreswagenkäufer: man hinkt seiner Zeit etwas hinterher, fährt dafür aber sicherer. Eine durchaus vernünftige und sparsame Entscheidung. Manche Zeitgenossen warten auch ein paar Runden mehr, was unterm Strich aber nicht immer zu einer höheren Ersparnis führt und auch nicht zwingend bedeutet, dass mit zunehmendem Alter des Gefährts auch dessen Fahrsicherheit steigt. Nein, nur unser Ökologischer Fußabdruck wird größer. So heißt es zumindest in der Begründung zur Einführung der so genannten Umweltzonen.
Aber soll das denn dann alles sein, was wir hinterlassen werden? Einen grünen Fußabdruck im Ökosystem der Erde? Grüne Fußabdrücke hat Horb nämlich bereits sehr viele. Sie führen alle irgendwie in die Stadt hinein, aber keiner wieder raus. Eine gewiefte Marktstrategie oder eher die Sackgasse ohne Wendemöglichkeit? Vor einigen Tagen versuchte ich den Spuren zu folgen: vom Bahnhof aus Richtung Altstadt links-rechts-links-rechts zielgerichtete breitbeinige Schritte über den Neckar. Muss ein stolzer Ritter gewesen sein, der diese Fußstapfen hier hinterließ. Aber dann, ja dann stellte ich fest, dass es mindestens zwei gewesen sein mussten, die sich womöglich huckepack hier abmühten. Denn kurz vor der Schillerstraße erscheint überraschend eine weitere Barfußspur, als wäre dem Ritter ein Narr von der Schulter gehüpft und hätte dort eiligst das Weite gesucht. Seine Beine trugen ihn sichtbar nach links, zögerten am Schaukasten des Schwarzwälder Boten ein wenig und liefen dann Richtung Wasserkraftwerk davon. Ich entschied mich jedoch für den standfesten Edelmann und folgte seinen Spuren nach rechts entlang der Straße bis zum Schaukasten der Südwestpresse. Sein Sinn fürs Gleichgewicht beeindruckte mich. Den etwas wankenden Fußabdrücken zu Folge, hatte der Recke auf diesem Weg erneut einen Gefährten auf dem Buckel. Aber tapfer weiter ging es dennoch bis zu den beiden Apotheken und dann nach links Richtung Bäckerei. Und dann, ja dann stand er wohl plötzlich da, mein wackerer Held und wusste nicht mehr weiter. Wie angewurzelt muss er da gestanden haben, alle Ziele vergessen und nur das nahe liegendste in Sicht: das Eiscafé. Ich kombinierte: es war wohl mal wieder richtig Sommer, als diese grüne Fährte durch die Stadt gelegt wurde. Ich ließ also Ritter Ritter sein und ihn und seine Spur dort vorerst ruhen, denn jeglicher Gedanke an Speiseeis war auch schon vor Tagen einfach zu kalt für diese Jahreszeit. Auf meinem Heimweg zum Künstlerhaus die Sommerhalde erklimmend fand ich aber die grünen Fußabdrücke des Narren wieder und so trat ich diesmal in seine Spuren – fast wie ein Catwalk über die Marktsteige, wären da nicht die Steigung und das knöchelbrecherische Pflaster. Wohin ging es? Keine Frage: zu unserer Perle, dem Marktplatz. Aber dort angekommen löste sich die Spur plötzlich im Nichts wieder auf, und man musste ein geschickter Detektiv sein, um die grünen Fußsohlen vor dem Rathaus auf der anderen Seite erneut zu erblicken. Verwirrenderweise kam diese Spur mir aber entgegen, und wenn ich ihr folgen wollte, so musste ich rückwärts gehen. Närrisch, aber ich tat’s. Und auf diese Art stand ich auch der Fährte des Ritters wieder, der sich nach einigen Cappuccinos wohl doch noch aufgerafft und vermutlich über die Hirschgasse den Marktplatz angesteuert haben muss – man entkommt seinem Schicksal nicht. Weil einst gute Pfadfinderin, entdeckte ich den weiteren Weg der beiden, nun wieder Vereinten Richtung Stiftskirche, am Kloster vorbei links abbiegend zum – Finanzamt? Nein, aber zur kleinen Tür direkt nebenan: grün wie die Füße, aber abgeschlossen. Verbirgt sich dahinter etwa der geheimnisvolle Schatz? Ich hab’s noch nicht rausgefunden oder hatte die falsche Plakette. Wer’s weiß, gebe mir bitte bescheid.
Genau ein Jahr ist mittlerweile vergangen, seitdem wir drei Künstler in die Wintergasse 1 gezogen und aus unserer Sicht auf so manches Mysterium hier gestoßen sind. Diese Monate gehen nicht spurlos an uns vorbei. Und für Peter Hintz ist ein Werk vollbracht – er zog vor einigen Tagen bei uns wieder aus und beschert uns nun ein notwendiges Update: einen neuen Kollegen oder Kollegin.
Text: Monika Golla 26.5.2013 ©

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2. Das Künstlerhaus existiert nicht.
Januar 2013

Euch gibt es gar nicht“, sagte meine Freundin, die mich kürzlich im Künstlerhaus besuchen wollte. Und es ist nicht das erste Mal, dass ich das höre, denn wer „Horb, Wintergasse 1“ in sein Navigationssystem eintippt, bekommt genau diese Fehlermeldung: ERROR - keine Übereinstimmung gefunden, Route kann nicht berechnet werden oder schlicht: Wintergasse 1 existiert nicht. Meine Freundin ist pfiffig und überlistete ihr Navi, indem sie „Wintergasse 2“ eingab, denn es erschien ihr nahe liegend. Und so mussten wir uns nicht wieder mit langen Telefongesprächen begnügen, sondern konnten uns ganz persönlich in die Arme fallen.

So wie meiner Freundin geht es vielen anderen vor Ort auch. Also nicht, dass ich ihnen gleich um den Hals falle, sondern dass das neuerdings ganz lebendige Treiben zu Füßen der Horber Klostermauern für sie einfach noch nicht existiert.
So parkte neulich ein Rollerfahrer sein motorisiertes Zweirad auf unserer Traum-Terrasse und schien sichtlich überrascht über meine Anwesenheit. Ich begrüßte ihn neugierig und wollte wissen, wen von uns dreien er mit seinem Besuch erfreuen wolle. „Ich habe bisher immer hier geparkt“, sagte er daraufhin nur und winkte mit einem offiziellen Schreiben Richtung Amtsgericht. Aber irgendetwas veranlasste ihn wohl doch zur Umschau, denn er stellte sogleich erstaunt fest: „hier ist jetzt etwas anders, nicht?“.
Wer will’s ihm verübeln? Es gibt andere, die kommen alleine der schönen Aussicht wegen her. Und es stellt überhaupt kein Problem für sie dar, wenn wir zu dieser Zeit mit Kaffeebechern in der Hand und Butterbrezeln im Mund mit unserem Frühstück nebenan noch nicht ganz fertig sind. Nein, auch auf Nachfrage nicht. „Wir wollten nur mal gucken“, lautet die Antwort Nummer eins auf unserer Strichliste.
Im Allgemeinen ist man hier nämlich sehr nachsichtig und sieht nicht nur äußerst gelassen über die unangemessen fortgeschrittene Stunde unseres ersten Vespers hinweg, sondern gesteht uns das Anders-Sein als solches auch sonst gerne zu. Denn schließlich ist das Künstlerhaus, wie ich hörte, eine neue Attraktion in Horb und wir die dazu gehörigen Akteure. Und wir sind das gerne. Wenn zum Beispiel einer von uns dreien die Stahltreppe hinabsteigt, die unsere Künstlerappartements mit dem Atelier im Erdgeschoss verbindet, tönt so manches Mal ein „guck mal, ein Künstler!“ aus der Grabenbachgasse zu uns herauf. Und wir lächeln dann freundlich und winken in diese Richtung, und die jungen Mütter lächeln dann verlegen zurück und nehmen ihre Sprösslinge an die Hand, um mit ihnen weiter zu gehen. Aber die Kinder blinzeln nur mit großen Augen und offenen Mündern zu uns herauf und sind schwer fort zu reißen, denn sie haben soeben wieder etwas gelernt.
Aber - das muss ich doch ganz ehrlich zugeben - meistens sind wir es, die hier etwas dazu lernen. So zum Beispiel, dass wenn Raben hoch auf der Kirchturmspitze sitzen und schreien, es am nächsten Tag garantiert regnet. Dass „HOR“ und „FDS“ zusammen nur FROHSD ergeben oder dass der Advent hier nur drei Tage dauert. Letzterer wiederum am Neckarufer nun viel schöner wäre, als er es früher auf dem Historischen Markt gewesen war, weil man das stimmungsvolle Ambiente dort oben gar nicht richtig genießen konnte - und zwar wegen der vielen Glühweinbuden, die direkt vor den schmucken Häusern dort aufgereiht standen. Ich habe es mir diesen Winter zum ersten Mal angeschaut – und es stimmt: die kühle Atmosphäre auf dem Flößerwasenparkplatz ist zwar wenig „heimelig“, man hat dafür aber den unverstellten Blick auf die bezaubernde Altstadtkulisse hoch oben auf dem Berg. Das steigert sicher erheblich den Glühweinkonsum und senkt – da bereits im Tal - das Unfallrisiko beim anschließenden Nachhauseweg. Ein weiterer Beweis dafür, dass es nicht immer stimmt, dass früher alles besser gewesen war. In diesem ganz speziellen Fall bilden die Erfahrungen derjenigen natürlich eine Ausnahme, die in der Altstadt auf eben diesem Berg wohnen, wie zum Beispiel wir drei aus dem Künstlerhaus. Leichtenherzens und voller Vorfreude auf einen gemütlichen Abend die Stufen hinabeilen fällt uns stets viel leichter als der Wiederaufstieg mit schwerem Kopf zur späteren Stunde. Das weckt schnell Erinnerungen an Schülerfreizeiten in Jugendherbergen: aus irgendwelchen Gründen lagen diese damals auch immer hoch oben auf einer Anhöhe, zu der es abends garantiert keine Busverbindung mehr gab. Doch im Gegensatz zu früher müssen wir jetzt nicht mehr spätestens um acht wieder im Haus sein, und Bettruhe um zehn fällt auch aus.
Wir wissen daher die Gelassenheit im Umgang mit unseren ungewöhnlichen Arbeits- und Mahlzeiten sehr zu schätzen und freuen uns tatsächlich jedes Mal wirklich über neugierige, interessierte Besucher, denen wir unsere Sicht der Dinge gerne zeigen oder die uns selbst mit ihren Ansichten zum Staunen bringen. Aber auch alle, die „nur mal gucken wollen“ sind hier nach wie vor ganz herzlich willkommen. Und wenn am Künstlerhaus auch noch keine sichtbare Hausnummer angebracht ist, ist es ganz leicht, uns zu finden: wir sind hier in der Wintergasse die Nummer 1.

Text: Monika Golla 19.12.2012 ©

"Leben im toten Winkel der Navi-Geräte"
Schwarzwälder Bote, 18. April 2013

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1. Was ist "horb"?
Dezember 2012

„Wir sind ganz schön Horb!“steht im artefakt , dem aufwendig gestalteten Magazin zur Eröffnung des Antonie-Leins-Künstlerhauses im Mai dieses Jahres. Sehr viel Wissens- und Liebenswertes erfährt man auf den 40 Seiten. Eines aber bleibt unbeantwortet: „Horb“ – was ist das? Und vor allem, wo ist das? Eine mit Abstand am meisten gestellte Frage, wenn ich von meinem Umzug hierher berichte – direkt gefolgt übrigens von „und wie lange musst du da noch bleiben?“.
Nein, wirklich leicht macht Horb es einem Stadtkind wie mir, das einst Visuelle Kommunikation studiert hat (die Betonung liegt auf visuell und Kommunikation), nicht. Die Fotos auf der Bewerbungs-Homepage zeigen das Künstlerhaus einer Trutzburg gleich, deren turmhohe Hauswände von noch gewaltigeren Klostermauern überragt werden, und über dem ganzen Geschehen thront in unerreichbarer Höhe der Kirchturm der Stiftskirche. Das alles schaut uneinnehmbar auf den Betrachter herab und erweckt bei mir den Eindruck der Eiger Nordwand, die nicht bezwungen werden will. Eine weitere Ansicht zeigt das betreffende Haus dem tiefen Abgrund so nah, dass ich hoffe, Fallschirme gehören zur Basisausstattung der drei Künstler-Unterkünfte. Wo ist das Pittoreske, der Fluss, die sonnigen Hänge, das Grün aus Jo Berliens Horbanien? Und was macht Jo Berlien da überhaupt auf der Künstlerhaus-Werbeseite? Ist das vielleicht horb - diese ganz spezielle Art von Humor? „Künstler, was willst du nur hier – geh’ hinaus in die große Welt und finde dort dein Glück“, genau das nämlich versucht er uns dort mit seinen Texten glasklar zu machen. Woran mich das gleich erinnert? An die Begrüßungsvorträge für die teils von Weite her angereisten Bewerber um einen Studienplatz für Bildende Kunst oder Ähnliches an Hochschulen oder Akademien. So versuchte man zu meiner Zeit die Schulabgänger zu desillusionieren und auf diese Weise die Anzahl der Kandidaten zu dezimieren. Wer nicht bis zum Vordiplom aufgäbe, hieß es, werde aller Voraussicht nach nicht von seiner Kunst sondern bestenfalls von einer artverwandten Tätigkeit leben, wie zum Beispiel dem Taxifahren. Mit etwas Glück hätte man da immerhin noch Chancen auf einen nächtlichen Stellplatz vor dem städtischen Kunstmuseum.
Und was hatte es damals gebracht? Gar nichts. Zumindest nicht im Sinne des Erfinders. Ganz im Gegenteil: wer von uns Enthusiasten bis dahin noch zweifelte, reichte seine Bewerbungsunterlagen sofort ein – jetzt erst recht!
Der Vortragende hatte damals an sich keine Unwahrheit gesprochen, aber Künstler oder solche, die es werden wollen, lassen so etwas nicht einfach so gelten, zumindest nicht für sich. Weiß alle Welt doch, dass es für uns andere Regeln gibt. Wir sind diesbezüglich unverbesserlich und erfahrungsresistent. Und das ist gut so, denn wie sollten wir sonst von der Notwendigkeit unseres Tuns stets aufs Neue überzeugt sein? Kunst zu schaffen ist oft ein Wagnis wider die Vernunft - zumindest, wenn man davon leben will. Ich beabsichtige nicht, nun pathetisch zu werden, sondern bin auf der Suche nach einer guten Überleitung zum hiesigen Förderverein Künstlerhaus. Denn ein Wagnis wider die Vernunft war sicher auch das Vorhaben ‚Künstlerhaus Horb’ und irgendwie unverbesserlich die Vereinsmitglieder - allen voran sicher Michael Zerhusen. Und auch das ist gut so. Denn ohne solche unverbesserlichen ‚Jetzt-erst-recht-Macher’ sind so verrückte Projekte nicht denkbar. Das Künstlerhaus gäbe es nicht und keiner von uns dreien stünde Anfang des Jahres vor der schwierigen Frage, ob er sich nun bewerben soll oder nicht.
Warum ich es dann doch getan habe? Na eben genau darum! „Horb isch herb!“ schreibt Jo Berlien weiter in seiner alternative Horb-Hymne, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich hier immer noch so gerne bin: ich mag’s lieber so als „süß un bappisch“. Horb hat sicher nicht ein Dauerlächeln auf den Lippen. Seine Herzlichkeit ist eher ein innerer Wert. Vielleicht ist es also horb wenn ein Nachbar von der anderen Seite des Tals mich alleine auf der Terrasse sitzen sieht und daraufhin rüber ruft: „um drei gibt’s Kaffee“, und dann noch die Hausnummer nennt, bei der ich klingeln soll. Horb ist ein kleines Bänkchen im Vorgarten des benachbarten Künstlerpaares Bopp, von dem aus wir den ganzen Sommer über das WLAN des Bußturms anzapfen durften, um mit der Außenwelt wieder in Kontakt treten zu können. Horb ist jedoch auch, dass man bei der Planung des Atelierhauses an einen solchen Anschluss nicht gedacht hatte. Und ganz sicher ist es horb, wenn die Fleischfachverkäuferin keine Miene dabei verzieht, als ich ein Wiener Würstchen zu kaufen versuche. „Das sind Saiten“, sagt sie nur, „aber ich verstehe sie trotzdem.“ Und dann vernehme ich bei ihr doch ein leichtes Zucken um den Mundwinkel herum. Ja, es ist irgendwie doch ein gutes Gefühl, dass man seine Künstler hier nicht verhungern lässt. Und das ist ganz schön Horb!

Text: Monika Golla 13.12.2012 ©

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