Nein, wirklich leicht macht Horb es einem Stadtkind wie mir, das einst Visuelle Kommunikation studiert hat (die Betonung liegt auf visuell und Kommunikation), nicht. Die Fotos auf der Bewerbungs-Homepage zeigen das Künstlerhaus einer Trutzburg gleich, deren turmhohe Hauswände von noch gewaltigeren Klostermauern überragt werden, und über dem ganzen Geschehen thront in unerreichbarer Höhe der Kirchturm der Stiftskirche. Das alles schaut uneinnehmbar auf den Betrachter herab und erweckt bei mir den Eindruck der Eiger Nordwand, die nicht bezwungen werden will. Eine weitere Ansicht zeigt das betreffende Haus dem tiefen Abgrund so nah, dass ich hoffe, Fallschirme gehören zur Basisausstattung der drei Künstler-Unterkünfte. Wo ist das Pittoreske, der Fluss, die sonnigen Hänge, das Grün aus Jo Berliens Horbanien? Und was macht Jo Berlien da überhaupt auf der Künstlerhaus-Werbeseite? Ist das vielleicht horb - diese ganz spezielle Art von Humor? „Künstler, was willst du nur hier – geh’ hinaus in die große Welt und finde dort dein Glück“, genau das nämlich versucht er uns dort mit seinen Texten glasklar zu machen. Woran mich das gleich erinnert? An die Begrüßungsvorträge für die teils von Weite her angereisten Bewerber um einen Studienplatz für Bildende Kunst oder Ähnliches an Hochschulen oder Akademien. So versuchte man zu meiner Zeit die Schulabgänger zu desillusionieren und auf diese Weise die Anzahl der Kandidaten zu dezimieren. Wer nicht bis zum Vordiplom aufgäbe, hieß es, werde aller Voraussicht nach nicht von seiner Kunst sondern bestenfalls von einer artverwandten Tätigkeit leben, wie zum Beispiel dem Taxifahren. Mit etwas Glück hätte man da immerhin noch Chancen auf einen nächtlichen Stellplatz vor dem städtischen Kunstmuseum.
Und was hatte es damals gebracht? Gar nichts. Zumindest nicht im Sinne des Erfinders. Ganz im Gegenteil: wer von uns Enthusiasten bis dahin noch zweifelte, reichte seine Bewerbungsunterlagen sofort ein – jetzt erst recht!
Der Vortragende hatte damals an sich keine Unwahrheit gesprochen, aber Künstler oder solche, die es werden wollen, lassen so etwas nicht einfach so gelten, zumindest nicht für sich. Weiß alle Welt doch, dass es für uns andere Regeln gibt. Wir sind diesbezüglich unverbesserlich und erfahrungsresistent. Und das ist gut so, denn wie sollten wir sonst von der Notwendigkeit unseres Tuns stets aufs Neue überzeugt sein? Kunst zu schaffen ist oft ein Wagnis wider die Vernunft - zumindest, wenn man davon leben will. Ich beabsichtige nicht, nun pathetisch zu werden, sondern bin auf der Suche nach einer guten Überleitung zum hiesigen Förderverein Künstlerhaus. Denn ein Wagnis wider die Vernunft war sicher auch das Vorhaben ‚Künstlerhaus Horb’ und irgendwie unverbesserlich die Vereinsmitglieder - allen voran sicher Michael Zerhusen. Und auch das ist gut so. Denn ohne solche unverbesserlichen ‚Jetzt-erst-recht-Macher’ sind so verrückte Projekte nicht denkbar. Das Künstlerhaus gäbe es nicht und keiner von uns dreien stünde Anfang des Jahres vor der schwierigen Frage, ob er sich nun bewerben soll oder nicht.
Warum ich es dann doch getan habe? Na eben genau darum! „Horb isch herb!“ schreibt Jo Berlien weiter in seiner alternative Horb-Hymne, und das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich hier immer noch so gerne bin: ich mag’s lieber so als „süß un bappisch“. Horb hat sicher nicht ein Dauerlächeln auf den Lippen. Seine Herzlichkeit ist eher ein innerer Wert. Vielleicht ist es also horb wenn ein Nachbar von der anderen Seite des Tals mich alleine auf der Terrasse sitzen sieht und daraufhin rüber ruft: „um drei gibt’s Kaffee“, und dann noch die Hausnummer nennt, bei der ich klingeln soll. Horb ist ein kleines Bänkchen im Vorgarten des benachbarten Künstlerpaares Bopp, von dem aus wir den ganzen Sommer über das WLAN des Bußturms anzapfen durften, um mit der Außenwelt wieder in Kontakt treten zu können. Horb ist jedoch auch, dass man bei der Planung des Atelierhauses an einen solchen Anschluss nicht gedacht hatte. Und ganz sicher ist es horb, wenn die Fleischfachverkäuferin keine Miene dabei verzieht, als ich ein Wiener Würstchen zu kaufen versuche. „Das sind Saiten“, sagt sie nur, „aber ich verstehe sie trotzdem.“ Und dann vernehme ich bei ihr doch ein leichtes Zucken um den Mundwinkel herum. Ja, es ist irgendwie doch ein gutes Gefühl, dass man seine Künstler hier nicht verhungern lässt. Und das ist ganz schön Horb!
Text: Monika Golla 13.12.2012 ©
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